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Donnerstag, 17. Dezember 2015

Unser Finanz-System *** "Dein Geld bekommst du nicht - die Bank ist pleite"



WIRTSCHAFTITALIEN  16.12.15
16.12.15

"Dein Geld bekommst du nicht -
die Bank ist pleite"

12.500 Anleger, darunter viele Rentner, haben bei italienischen
Regionalbanken zusammen 430 Millionen Euro verloren.
Ihr Schicksal wird bald auch anderen Sparern in Europa blühen.

Von Tobias Bayer,Arezzo
Dicht an dicht sitzen sie auf Klappstühlen, stehen in Reih und Glied an der Wand und kauern auf dem Steinboden. Rentner. Ehepaare. Frauen im Kostüm. Herren in Nadelstreifen. Kein Quadratzentimeter ist mehr frei in der Warenbörse Arezzo in der Toskana. Bis auf den Marktplatz hinaus staut sich der Pulk. Gekommen sind alle wegen der Bank, die ihnen ihre Ersparnisse genommen hat.
Auf einem Podium in der Mitte des Raums steht ein schwerer Holztisch. Er gleicht einem Richterpult. Fünf Personen haben Platz genommen. Verbraucherschützer und Gewerkschafter. Auf einer Leinwand hinter ihnen leuchten die Worte: "Beraubt, aber nicht resigniert – Versammlung der Aktionäre und Anleihegläubiger zur Wiedergutmachung des Schadens".
Ein älterer Herr ergreift das Mikrofon. Die Augen sind glasig, die Stimme zittrig. "Ich schlafe seit Tagen nicht. Ich nehme Tabletten gegen Depressionen", sagt er. "Ich erzähle euch jetzt ein Geschichtchen." Und wahrscheinlich ist das Geschichtchen sein eigenes.
"Da ist ein armer Rentner, der im Monat 500 Euro bezieht. Über 50 Jahre hat er 20.000 Euro zusammengespart. Die braucht er irgendwann. Dann geht er zur Bank und will das Geld abheben. Und die Bank sagt ihm: 'Geht nicht. Die Bank ist pleite.' Aber wie macht er das denn jetzt?" Immer lauter wird er, bis er förmlich brüllt: "Die Pensionäre sind doch bloß der Geldautomat der Regierung."

Neue europäische Bankenregulierung ab 1. Januar 2016

Die Versammlung in der toskanischen Stadt ist ein Vorgeschmack auf das neue Zeitalter, das für Europas Banken am 1. Januar 2016 beginnt. Wackelnde Geldhäuser wie die Banca Etruria in Arezzo werden nicht mehr automatisch gerettet, sondern eventuell abgewickelt.
Für die Schieflage werden nicht mehr wie bisher die Steuerzahler, sondern Aktionäre, Anleihegläubiger und Einleger mit einem Guthaben über 100.000 Euro zur Kasse gebeten. Mag ein solcher "Bail-in" ordnungspolitisch richtig sein, so ist er in der Praxis extrem knifflig und der Bevölkerung kaum vermittelbar. Das zeigt sich in Italien derzeit besonders drastisch.
Bei insgesamt vier Regionalbanken sind Regierung und Notenbank in Rom eingeschritten. Neben der Banca Etruria in Arezzo sind das die Banca Marche in Ancona und die Sparkassen in Chieti und Ferrara. Sie wurden in einen guten und einen schlechten Teil aufgespalten. Der gute Teil wurde mit dem Geld des italienischen Bankensystems rekapitalisiert.
Einleger und Anleihegläubiger der vier Banken wurden damit verschont. Doch insgesamt rund 12.500 Inhaber von riskanten Nachranganleihen, viele von ihnen Pensionäre, verloren bei der Aktion komplett ihren Einsatz. Rund 430 Millionen Euro lösten sich so über Nacht im Nichts auf!

92-jähriger Rentner hat 100.000 Euro verloren

Es ist das erste Mal, dass so etwas in Italien geschieht. Und die Betroffenen verstehen die Welt nicht mehr.
So wie der junge Mann, der in der ersten Reihe des Börsensaals in Arezzo sitzt und auf einem DIN-A4-Block auf seinem Schoß herumkritzelt. "To-do-Liste", steht da geschrieben. "Dokumente zusammensuchen. Beratungsprotokoll. Steuernummer angeben." Dann erhebt er sich und ergreift das Wort.
"Mein 92-jähriger Großonkel war Schreiner. Er hört nicht mehr gut. Und ganz wach im Kopf ist er auch nicht mehr. Die Bank rief ihn an und empfahl ihm, seine Ersparnisse in Nachranganleihen zu investieren. Er ging in die Filiale und unterschrieb. 100.000 Euro hat er verloren. Wenn er das wüsste, dann wäre er jetzt tot."
Die Augen blitzen, als er fortfährt. "Wir müssen uns die Bankangestellten vorknöpfen. Sie haben uns betrogen", sagt er. Im Saal brandet tosender Applaus auf.

Bank verkaufte "Müll"-Anleihen an Rentner und Arbeiter

"95 Prozent der Leute, die diese Nachranganleihen gezeichnet haben, wussten nicht, dass das ein Risikotitel war", sagt Pietro Ferrari von der Verbraucherschutzvereinigung Federconsumatori. Die Bank hätte diesen "Müll" an Rentner und Arbeiter verkauft. Mit geringer Schulausbildung und blindem Vertrauen in die Bank. "Jetzt ist ein gewaltiger sozialer Schaden entstanden. Sie haben eine ganze Stadt in die Knie gezwungen. Nicht eine Stadt der Anleger, sondern eine Stadt der Kleinsparer."
Ferraris Haar ist schlohweiß. Mit seinem Henriquatre-Bart hat er etwas von einem Literaturprofessor. Seit Tagen klingelt sein Handy pausenlos. Verzweifelte Menschen rufen an, die ihr komplettes Vermögen verloren haben.
Ferrari und seine Mitstreiter versuchen ihnen irgendwie zu helfen. Sie tragen Dokumente zusammen und bündeln die Einzelfälle. Sie wenden sich an die Staatsanwaltschaften. Und trommeln in der Öffentlichkeit, damit die Politik etwas unternimmt. "Ich bin nicht wirklich optimistisch, dass wir viel erreichen", sagt Ferrari.
Das neue "Bail-in"-Regime Europas besagt, dass Banken pleitegehen können. Es nimmt die Anleger in die Pflicht. Wer eine Aktie kauft, eine Anleihe zeichnet oder ein Konto eröffnet, der muss sich gut informieren. Der muss kritisch nachfragen. Der muss die Prospekte lesen. Und das Kleingedruckte ebenfalls. Der muss am Ende selbst abschätzen, was er für ein Risiko eingeht, wenn ihm ein höherer Zinssatz winkt.

Banca Etruria hatte Sonderstellung in Arezzo

Doch sind die Bürger darauf vorbereitet? Arezzo lässt daran zweifeln. In der 100.000-Einwohner-Stadt südlich von Florenz ist die Banca Etruria nicht eine, sondern die Bank. Sie gehört zu Arezzo wie das Rathaus, der Handwerksverband oder die Apotheke. Der Bankdirektor ist ein Ehrenmann und kennt seine Kunden persönlich. Von der Taufe. Von der Hochzeit. Vom Geburtstag. Oder den mittelalterlichen Ritterspielen Giostra del Saracino, die von der Bank gesponsert werden.
Im Schalterraum der Banca Etruria steht ein Weihnachtsbaum mit goldenen Kugeln und Schleifen. Auf der Tapete prangt "Civitas Aretii", also "Bürgerschaft Arezzo". Oben auf der Decke sind die Wappen der umliegenden Gemeinden als bunte Glasscheiben eingelassen.
Meistens ist die Banca Etruria in den umliegenden Gemeinden die einzige Bank im Ort. Wie in Chiusi della Verna. Wo einst in einer Höhle der heilige Franziskus seine Stigmata empfing, leben heute 2000 Menschen, die geschätzt 1,2 Millionen Euro in Aktien und Nachranganleihen gesteckt haben. Dieses Geld haben sie verloren.
Verantwortlich dafür sind scheinbar alle: die Banca Etruria, die Aufseher der Banca d'Italia, die lange weggeschaut haben, die Börsenaufsicht Consob, die die Anleiheprospekte durchgewinkt hat. Die Regierung, die sich nicht vor ihre Bürger stellt. Und das strenge Europa, angeführt von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das Bankenrettung mit Steuergeldern verbietet und den kleinen Mann in Südeuropa bluten lässt.

Nur Monte dei Paschi hatte Unterstützung wie durch den SoFFin

Seit rund fünf Jahren geht es im italienischen Bankensystem drunter und drüber. Während Deutschland den Bankenrettungsfonds SoFFin aufsetzte und Spanien Geld vom europäischen Rettungsfonds erhielt, um seine Sparkassen zu rekapitalisieren, verzichtete Italien auf einen staatlichen Rettungsschirm. Mit Ausnahme der Bank Monte dei Paschi, die einen öffentlichen Kredit in Form von Anleihen erhielt, wurde keine italienische Bank mit Steuergeldern gestützt.
Besonders kleinen Instituten wie der Banca Etruria hat die lange Rezession zugesetzt. Was lange versteckt wurde, kommt nun ans Tageslicht. Die Aufseher von der Banca d'Italia durchstöberten jeden Winkel und stellten erhebliche Ungereimtheiten fest. Interessenkonflikte, Vetternwirtschaft, eine sorglose Buchführung und einen Berg an Problemdarlehen.
Die Prüfer verdonnerten die Führungsspitze zu einer Millionenstrafe, erzwangen Kreditabschreibungen und ordneten eine Kapitalerhöhung an. Um die zu finanzieren, wandten sich die Bankmitarbeiter an ihre Freunde und Bekannten und drückten ihnen Nachranganleihen ins Portfolio. Also keine normalen Anleihen, die zurückgezahlt werden, sondern Papiere, die im Ernstfall wertlos werden.
Dieser Ernstfall ist nun eingetreten. Nachdem ein Anleger in Civitavecchia sich das Leben genommen hat, ist auch die Politik aufgewacht. Sämtliche Parteien, ob links oder rechts, schimpfen lauthals und gerieren sich als die Retter der Kleinsparer. Die Regierung hat hektisch einen Solidaritätsfonds angekündigt. 100 Millionen Euro, also rund ein Viertel des Gesamtverlusts, sollen an die Bedürftigsten verteilt werden. Finanzminister Pier Carlo Padoan spricht von "humanitärer Hilfe".

Mitarbeiter der Banca Etruria zeigt auf Banca d'Italia

Alessandro Mugnai, Generalsekretär der Gewerkschaft CGIL in Arezzo, ringt das ein saures Lächeln ab. "Padoan macht auf Marie Antoinette, die dem hungernden Volk, das kein Brot hat, Kuchen empfiehlt", sagt er. "Von humanitärer Hilfe zu sprechen ist nicht korrekt. Das hier ist kein Erdbeben, keine Überschwemmung und auch kein Terroranschlag von Isis. Die Verantwortlichen haben Namen und Nachnamen und sitzen im Management von Banca Etruria."
Die Mitarbeiter der Bank wehren sich gegen solche Schuldzuweisungen. Im Börsensaal von Arezzo steigt ein kahlköpfiger Mann mit einem akkurat gestutzten pechschwarzen Vollbart aufs Podium. "Ich vertrete die Angestellten der Banca Etruria", sagt er. Kaum hat er das ausgesprochen, schallt ihm "Diebe, Diebe" entgegen. Doch er übertönt das Geschrei: "Die Banca d'Italia hat mehr Zeit innerhalb als außerhalb der Banca Etruria verbracht. Alle Anleiheemissionen waren genehmigt."
Dann fährt er fort: "Ich habe einiges gehört, was nicht stimmt. Wenn einer glaubt, dass die Banca Etruria eine kriminelle Organisation ist, der liegt falsch. Viele der Angestellten sind selbst Anleihegläubiger. Es ist ein Fakt: Kein Mitarbeiter hat Provisionen dafür eingesteckt, dass er diese Produkte verkauft hat. Danke." Unter lautem Getöse verzieht er sich in eine dunkle Ecke.
Ein Kollege, der sich nicht zu erkennen gegeben hat, stößt zu ihm. Er flüstert: "Im Grunde ist es unsere Schuld." Wie bitte? Doch ein Schuldeingeständnis? Nein. Statt eines Bekenntnisses folgt etwas anderes: "Italien hat in Europa einfach kein Gewicht. Das haben wir uns selbst zuzuschreiben."
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